Am Anfang der Dinge steht nur selten ein Kochrezept und deshalb müssen auch wir noch etwas auf die Antwort warten, denn es ist erst das Jahr 1606.
Pedro Fernández de Quirós
Der Spanier Pedro Fernández de Quirós sieht auf seiner Segelfahrt irgendwo im Pazifik irgendwelche überaus unwirtlichen weil steilküstigen Vulkane aus dem Wasser ragen, tankt mal eben und verschwindet gleich wieder. Allerdings nicht ohne eine kleine Taufe vorzunehmen: „Land vom Heiligen Geist“ nannte er die Felsen, was vermutlich eine Beschwörungsformel war, denn gerade von dem Heiligen Geist dürfte sich unser Pedro an diesem Fleckchen Erde so ziemlich verlassen gefühlt haben.
Nur wenig später, nämlich schon 1786, erschien ein Franzose auf ähnlich schwankendem Untersatz und sah sich etwas um, zeichnete auch eine erste Karte und kramte flugs einen neuen Namen hervor: „Große Kykladen“ hießen die gut 80 Inseln mit ihren gerade mal 12.000 km 2 jetzt, worauf sie sich etwas einbilden konnten, war ihr Taufpate doch der große Louis Antoine de Bougainville, nach dem auch schon diese hübschen lila Blumen benannt sind.
Ab 1774 wurde es aber ernst, denn mit James Cook betrat als nächster der Taufpate eines später weltweit agierenden Reisebüros die Szene, fand alles sehr britisch, besonders wohl das unerträgliche Wetter und die zerrissenen Steilküsten, nannte den ganzen Laden deshalb kurzerhand „Neue Hebriden“ in Erinnerung an zu Hause und fuhr wieder ab, um sich auf einer weiteren Insel 1779 totschlagen zu lassen. Da saßen sie nun, die etwa 500.000 Eingeborenen in ihrem 800 Kilometer langen und wenige Spannen breiten Land und erwarteten mit Neugier die ersten Missionare. Die ließen sich nicht lange bitten und fingen ab 1830 mit der Christianisierung an, und wer wirklich wissen will, was da unten in den nächsten Jahren los war, der kommt an Jack London und seinen „Südseegeschichten“ nicht vorbei. 1920 jedenfalls waren nur noch 40.000 Eingeborene übrig.
Vorher aber ergab sich etwas ganz und gar Ungewöhnliches, denn nach ewigem Hin und Her zwischen britischen und französischen Kaufleuten faßte man sich nicht etwa gegenseitig an die Gurgel, sondern 1887 einen Beschluß: Gemeinsame Verwaltung, ab 1906 sogar in der Form eines Kondominiums! Zwei Rechtssysteme, zwei Polizeitruppen, zwei Amtssprachen und, der eigentliche Anlaß für diese Zeilen, auch zwei Briefmarkenausgaben, und das sogar immer, nicht nur einmal.
Ausgerechnet diese beiden? Und ganz friedlich? Wie das? Das kann doch gar nicht sein! Kann es auch nicht, das heißt, eigentlich nicht, hier und nur hier, aber doch, denn: Die Inseln bergen das weltweit größte Vorkommen an Sandelholz. Sie wundern sich natürlich, denn das kennen Sie ja nur von Seife oder allenfalls Räucherstäbchen, aber so harmlos war das Bäumchen nun doch nicht, denn bis zur Entdeckung des Penizillins galt Sandelöl als wirksames Heilmittel gegen Geschlechtskrankheiten, und die unterschieden nicht zwischen Menschen mit französischem und englischem Paß. Deswegen war die gemeinsam empfundene Bedrohung stärker als jede nationale Voreingenommenheit, aha!
Mit der Post scheint es aber ein bißchen schwierig gewesen zu sein, denn zunächst besorgte das ab 1897 eine australische Schifffahrtsgesellschaft mit insgesamt sechs verschiedenen Werten in recht ansprechender Form.
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Australische Privatpostmarken zu 1 Penny und 2 Pence
Ab 1908 überdruckte England dann Marken der Fiji-Inseln und Frankreich solche aus Neu-Kaledonien, um sie in schöner Eintracht zur Frankierung nach Sandelholz duftender Briefe nutzen zu können. Nett daran ist, daß bis heute beide Länder in ihren jeweiligen Katalogen die eigenen Ausgaben nach vorne stellen, man also gut aufpassen muß, wenn es um den Erwerb bestimmter Nummern geht.
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links:
Marke der Fiji-Inseln mit Hinweis auf die gemeinsame Verwaltungsform |
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rechts:
eine Marke von Neu-Kaledonien nur mit Aufdruck des neuen Landesnamnes |
Aufpassen mußten allerdings auch die Eingeborenen, denn natürlich wollte kein europäischer Kaufmann zum Bäume fällen in die Wälder kriechen, wo ihn zudem noch regelmäßig formschöne Backöfen erwarteten, in denen gefangene Europäer zum allgemeinen Verzehr bestimmt und gegrillt wurden. Da war es einfacher, mit Gewalt einen Häuptling einzufangen und seinen Stamm zum Sandel-Sammeln zu zwingen, wenn er ihn denn wiederhaben wollte. Das funktionierte gut, aber der Mensch ist ja nie mit dem Erreichten zufrieden, und so gingen die Kolonialherren dazu über, sich ein Zubrot zu verdienen. Nach vollbrachter Arbeit erhielten die Stämme ihre Präsidenten nämlich bald nicht mehr zurück, sondern die wurden an einen Konkurrenzstamm zwecks Übernahme auf die Speisekarte verkauft. Wen wundert es, daß sich im Laufe der Zeit dieses Amt nicht mehr der größten Beliebtheit erfreute?
Den Marken sieht man das aber nicht an, sie sind bis 1938 keine der typischen Kolonialausgaben, sondern sehen mit ungewöhnlichen Farben und ganz ohne Herrscherbildnisse (wer hätte auch drauf sein sollen für Engländer und Franzosen gemeinsam?) recht eindrucksvoll aus.
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Frankreich nennt höflich
zuerst
GR = König Georg
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England nennt ebenso höflich zuerst die
Republik Frankreich
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Wenn die Marken dann mal knapp wurden, kam in schöner Eintracht auf den einen Rest ein Cent-Aufdruck und auf die andere Hälfte ein Penny-Aufdruck.
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Gemeinsamer Aufdruck in der jeweiligen Landeswährung und auf den jeweiligen Landesausgaben beider Beteiligten
So recht vorwärts ging es aber mit den Inseln durch die ewige Rücksichtnehmerei auch nicht, und so nahmen die Dinge den üblichen Verlauf. Während des Krieges stapelten die Amerikaner ungeheuerliche Mengen an Nachschub gegen Japan auf den Inseln und waren, ganz gegen ihre Gewohnheit, auch noch nett zu den Eingeborenen. Die nahmen die Ankömmlinge für Boten einer höheren Götterwelt und bildeten flugs eine neue religionsartige Massenbewegung aus, deren Nachbeben bis heute auf den Inseln zu finden sind. „John Frum“ hieß der neue Gott, nach dessen Erscheinen riesige Mengen Vorräte und alles Glück der Welt kostenlos zur Verfügung stehen sollte. Im Vorgriff vertilgte man schon mal alles Bier und sämtliche Fressalien, die in Reichweite waren, was natürlich einen dicken Kopf und eine gewisse Enttäuschung nach sich zog, als am nächsten Morgen der Horizont um die Eilande immer noch leer waren. Die „Cargo-Leute“ genannten Anhänger waren im wörtlichen Sinne ernüchtert und es sprach sich herum, daß „John Frum“ wohl niemand anders war, als „John from Amerika“, da war das Bier aber schon alle. Ihr Vereinigungszeichen, ein rotes Kreuz (!) soll sich aber bis heute noch in den Dörfern finden.
Und noch etwas scheint geblieben zu sein wie früher: Das Amt des Häuptlings ist zwar nicht mehr backofenverdächtig, aber doch gefährlich. Seit dem 30. Juli 1980 geben sich die Präsidenten und Regierungschefs in Vanuatu, wie die endlich selbständigen Inseln seit diesem Tage heißen, förmlich gegenseitig die Palastklinke in die Hand. Sieben Premierminister und mehrere Präsidenten wurden verschlissen und ein Ende ist nicht abzusehen. Weil die Inseln außerdem ausdrücklich als „kooperationsunwilliges Land“ in bezug auf Fragen der Steuerfreiheit und -flucht gelten, werden sie international kaum gefördert. Nur ein einziger Exportartikel ist weltweit bekannt geworden: Das Herunterhüpfen von riesigen Türmen mit nicht mehr als einem Seil um die Füße, das, wenn es gut geht, den Flieger kurz über dem Erdboden auffängt. Bunjee-jumping heißt das heute, und es ist als Sport immer noch genauso dämlich wie die viele Leute, die ihn als Nervenkitzel lieben.
Man fragt sich, ob der Backofen nicht doch die vernünftigere Variante war.
Florian Brouwers