Nein, irgendwann muß auch mal Schluß sein mit diesen ganzen exotischen und verwirrenden Namen von Ländern und Ländchen, die uns Philatelisten das Leben je nach Einstellung recht sauer oder erst erstrebenswert machen. Deshalb folgt hier nur ein kurzer Abstecher in ein Gebiet, von dessen Existenz wohl nur sehr Wenige wissen, das aber durchaus auch einen Bezug zur deutschen Geschichte hat. Wie üblich war es leider kein so ganz erfreulicher, jedenfalls "damals" nicht. Wir Nachkommen dürften mittlerweile nicht gerade traurig sein, aber das wäre jetzt schon das Ende der Sache, nicht der Beginn.
Trotzdem merken Sie schon, daß es sich um "Schnee von gestern" handelt, und da bietet sich als Sündenbock natürlich immer gleich Kaiser Wilhelm an, außer dem anderen natürlich, was besonders praktisch ist, weil sich der Kaiser erstens nicht mehr wehren kann und man zweitens von jeglicher Mühe zu sorgfältigem Recherchieren entbunden ist. Beide Fehler wollen wir aber vermeiden, weil die Sache wirklich etwas Philatelistisches an sich hat.
Im vor-vorigen Jahrhundert (!) war es unter den europäischen Mächten, großen wie kleinen übrigens, üblich, sich bei Gelegenheit ein Stückchen Land in anderen Weltgegenden einzuverleiben, und auch Deutschland machte hier keine Ausnahme. Es erwarb unter anderem größere Teile der Ostküste Afrikas, die dann als Deutsch-Ostafrika auch Postgeschichte schrieben. Aber so leicht sollen Sie es nicht haben, womit wir beim richtigen Stichwort wären. Haben wollten es nämlich recht bald andere, genauer gesagt: Die nördlichen (englischen) und südlichen (portugiesischen) Nachbarn, denen jetzt der Kriegsausbruch 1914 gerade recht kam, auch auf diesem Teil „Deutschlands“ militärisch zu intervenieren.
Die Briten landeten mit einer mächtigen Interventionstruppe und schauten sich um. Zu ihrem Erstaunen fanden sie zwar zunächst niemanden, bemerken an ständig in die Luft fliegenden Brücken, Bahnen und Fabriken aber doch, dass da jemand sein musste. Und richtig, es stellte sich heraus, dass dort ein gewisser General von Lettow-Vorbeck, ausgestattet mit einigen hundert deutschen Kolonialsoldaten und ca. 2.300 schwarzen Askaris im Lande herumzog und ihnen in der eigenen Kolonie Britsch-Ostafrika den im Sommer ohnehin schon warmen Leim noch wärmer machte. Alle Bemühungen ihn zu fangen scheiterten, er war nie dort, wo man es dachte, und wenn doch, war er gleich wieder weg. So ging das bis zum Jahr 1917, es war zum Verrücktwerden, denn nachweislich gab es nur noch 300 weiße und 1.700 schwarze Kämpfer, während das englische Kontingent auf immerhin 120.000 Mann angeschwollen war.
Fast hatte man ihn jetzt, da landete der General seinen größten Coup. Er überschritt erstmalig und völlig überraschend die südliche Grenze zu Portugal, das sich seit 1915 ebenfalls im Krieg mit Deutschland befand, übernahm kurzfristig und erfolgreich mehrere größere Militärlager und kehrte dann, vor Waffen, Munition und Vorräten nur so strotzend, nach Deutsch-Ostafrika zurück. Jetzt war alles aus, denn so gut ausgerüstet konnte das Katz- und Mausspiel noch Jahre weitergehen.
Ging es aber nicht, weil zu Hause der Krieg vorüber und verloren war. Lettow-Vorbeck trat mit der gesamten Streitmacht nach Belgisch-Kongo über, wurde mit seinen Leuten interniert und kurz darauf konnten alle ausreisen, wohin sie wollten. Der General stellte als letzte Amtshandlung vorher noch für jeden einzelnen seiner Askaris Soldbescheinigungen aus, 1926 wurde diese ausbezahlt.
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Uns interessiert hier aber vor allem die Rolle Portugals, denn dass England dem Plan einer eigenen Bahnlinie „vom Kap nach Kairo“ mit der deutschen Kolonie sehr, sehr nahe gekommen war, leuchtet ein.
Was aber wollten die Portugiesen? Eine starke Lupe und der abgebildete Plan machen es deutlich. Der südliche Grenzfluß Rowuma bietet den einzigen brauchbaren Verkehrsweg in weitem Umkreis und wenn man jetzt, wie es die Deutschen taten, an der Mündung die Grenze nicht im Fluß, sondern ein Stückchen südlich davon zieht, kann man den ganzen Laden dicht machen, und die anderen können sich ärgern. (Sehen Sie mal auf der Landkarte nach, wie das mit Stettin ist...)
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Der Landzipfel am südlichen Ufer also trägt einen Ort namens Kionga, ein albernes Gebilde ohne jede Bedeutung, weniger als 1.000 qkm groß, und genau diesen Zipfel hatten die Portugiesen Anfang 1916 besetzt, sogleich mit einer eigenen Behelfs-Briefmarken-Ausgabe von vier Werten versehen und im Vertrag von Versailles endgültig zugesprochen bekommen. Jetzt war die Flußmündung "frei". Ein schönes Wort, gefährlich schillernd und sehr beliebt. Hat es sich gelohnt? Ich weiß nicht...
Die vier verschiedenen Aufdrucke erfolgten auf immer der gleichen Urmarke zu 100 Reis der ebenfalls portugiesischen Kolonie Lourenco Marques, aus diesem Grunde genügt auch die Abbildung nur eines Wertes. Die Besitzung Lourenco Marques ihrerseits bestand auch nur aus der Hauptstadt von Mocambique, das eine weitere Kolonie Portugals war, und hieß schon damals sowie heute wieder eigentlich Maputo. So gab es also statt einer Kolonie jetzt gleich deren drei, was für Briefmarkenausgaben immer von großem Vorteil ist.
Es war dies übrigens der einzige territoriale Gewinn für Portugal aus dem Großen Krieg. Nach Kenntnis des Verfassers ist Kionga auch das „Land“ mit den wenigsten Ausgaben überhaupt. Die Marken finden sich ungebraucht nicht gerade selten, mit telegrafischer Entwertung sind sie ab und an zu sehen (s. Abbildung), und was die Briefe mit dieser Ausgabe angeht, so betrachten Sie bitte sorgfältig die folgende Abbildung und den erklärenden Text.
Kigoma und Kilossa sind übrigens auch Städte in Deutsch-Ostafrika, leider ohne irgendwelche Bezüge zur Philatelie. Mal ehrlich, in diesem Fall kann der Kaiser wirklich nichts dafür, und: Haben Sie’s gewusst?
Florian Brouwers
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1916, 5 C a. 100 R., senkr. Paar und Einzelstück zusammen mit Mocambique Kriegssteuermarke 1916, 1 C graugrün auf Bedarfs-Einschreibebrief der 2. Gewichtsstufe nach Frankreich. Klare violette Gummistempel KIONGA 7 JUN 17, Zensurstempel PASSOU PELA CENSURA, von Bera, Aushilfs-R-Zettel No. 130, darunter Postausgangsstempel von Mocambique, bei der Ankunft in Frankreich mit Zensurverschlusszettel und Zensurstempel versehen.
Es sind nur ca. 30 Bedarfsbriefe mit dieser Ausgabe bekannt. (3.000 € Ausruf in 2004)