(Klaus Henseler singt das Hohelied der Kartoffel)
Ein Amateur ist bekanntlich ein Liebender. Nur zu oft wird leider diese Liebe auf ein untaugliches Objekt verschwendet. Beispielsweise gibt es Rentner, die zwanzig Jahre ihres Lebens mit dem Versuch verbringen, den Kreis zu quadrieren. Manchmal führt das Bemühen des Amateuers aber auch zu erstaunlichen Ergebnissen, die zwar amateurhaft, aber ganz und gar nicht dilettantisch sind.
Das Motiv Kartoffel
Klaus Henseler ist Philatelist. Er sammelt das Motiv „Kartoffel“ mit all seinen Trieben und Verästelungen. Auch eine Marke mit dem Konterfei Goethes gehört beispielsweise zu seiner Sammlung. Schließlich hat sich der Dichterfürst ja auch mit dem Thema beschäftigt: „Man singe das Kartoffellied wirklich auf dem Acker, wo die völlig wundergleiche, den Naturforscher selbst zu hohen Betrachtungen leitende Vermehrung, nach langem stillem Weben und Wecken zum Vorschein kommt und ein ganz unbeschreiblicher Segen aus der Erde quillt.“
Die Kartoffel auf der Briefmarke
Henseler hat ein Buch „Die Kartoffel auf der Briefmarke“ über das Knollengemüse geschrieben und mit seinen Postwertzeichen illustriert. Eigentlich ist es mehr eine Broschüre, aber man darf ein Buch genausowenig wie einen Bonsai an seiner Dicke messen. Um ehrlich zu sein, greift man auch als Bücherfreund und Briefmarkensammler nicht spontan nach einem solchen Werk. Kartoffeln und Briefmarken, das ist so sinnlos wie die Quadratur des Kreises. Erstaunlicherweise trügt das Gefühl. die Kombination ist absurd genug, um zu funktionieren.
Der Autor ist gut informiert. Er verblüfft uns mit einer Fülle von präzisen Einzelheiten. Wer weiß schon, dass das Schiff „Santa Maria“ des Kolumbus in Wirklichkeit „Maria Galanda“ hieß? Sorgfältig recherchiert (Wenn es denn stimmt, in unserem Lexikon steht es nicht.) dabei ist hier der einzige Bezug zur Kartoffel, daß Kolumbus die Süßkartoffel, die jedoch gar keine Kartoffel ist, auf seiner zweiten Reise nach Europa gebracht hat. Aber es gibt natürlich viele schöne Briefmarken, auf denen der Entdecker abgebildet ist.
Ein anderes Beispiel: Im französischen Revolutionskalender heißt der 11. Vendémiaire auch „pomme de terre“. Das und nur das ist Grund genug für Henseler, eine kleine Einführung in diesen Kalender zu geben. Dabei vergißt er noch nicht einmal das kurze Wiederaufflackern bei der Pariser Kommune 1871 (die aber den Herbstmonat Vendémiaire gar nicht mehr erlebte). Illustriert wird dieser Exkurs im Exkurs mit einer jugoslawischen Briefmarke von 1971. Die Verbindung zur Kartoffel ist dünn wie ein Spinnenfaden, aber vorhanden.
Briefmarken-Abbildungen
Ein großer Teil der Briefmarken-Abbildungen im Buch hat nicht viel mit dem Thema zu tun. Das sollte man aber eher als Positivum sehen. In Diderots Encyclopédie steht, dass der Genuss der Kartoffel Blähungen verursacht, „aber was bedeuten schon Winde für die gesunden Därme der Bauern und Arbeitsleut“. Man freut sich durchaus, dass dieser Abschnitt mit einem gezähnten Porträt Diderots und nicht mit einem Röntgenfoto eines Arbeiterdarms illustriert wird. Manchmal findet man allerdings einen Bezug zur Kartoffel wirklich erst auf einer abgehobenen Ebene: Der Kopf von Marie Antoinette auf der Marke der Republik Tschad sieht aus wie aus einer solchen geschnitzt.
granfalloon
Kurt Vonnegut führte 1953 in seinem Roman „Katzenwiege“ den Begriff „granfalloon“ ein. Dabei handelt es sich um eine nur scheinbare Gemeinschaft, die sich aber als völlig sinnlos herausstellt, wenn man Gottes Wirken genauer untersucht. Vonneguts Beispiel sind die Bewohner eines winzigen Ortes in Indiana, die ihre Finger angeblich bei vielen Gelegenheiten auf der ganzen Welt im Spiel haben. In Wirklichkeit besitzen sie aber alle nur das gleiche Nummernschild. Ein solches Granfalloon ist auch Henselers Kartoffelgruppe: Thomas Cavendish hat 1673 die Insel St. Helena wiederentdeckt, auf der ab 1815 Bonaparte seine letzten Kartoffeln verzehrte. Der Maler Wilhelm Knackfuß stellte den Großen Kurfürsten und seine Familie dar, wie sie im Lustgarten vor dem Berliner Schloss blühende Kartoffelfelder bewunderten. Von den Brüdern Bauhin und von Clusius, die für die Verbreitung der Kartoffel in Europa erhebliche Verdienste haben, liegt (noch) keine Abbildung auf Briefmarken vor, wohl aber Zeichnungen von Pflanzen, die nach ihnen benannt wurden: der Stengellose Enzian Gentiania Clusii und die Bauhinia Variegata. Und so weiter und so fort.
Einführung in die Kartoffologie
Gleichzeitig ist das Buch aber tatsächlich auch eine interessante Einführung in die Kartoffologie. In achtundsechzig Kapiteln, die jeweils exakt eine Seite ohne Leerraum umfassen, lesen wir alles, was wir über die Knolle wissen oder auch nicht wissen wollen. Ob Tier, Pflanze, Pilz oder Mineral, kein Bezug zur Kartoffel ist dem Autor entgangen. Wir lernen den Kartoffelkäfer, den Kartoffelbovist und die rote Kartoffelrose kennen. Der Marsmond Phobos soll auch kartoffelförmig sein. Genug!
Klaus Henseler, Laird of Glencaim, alias potato-klaus, ist Direktor der Forschungsstelle Kartoffel, einer „nichtstaatlichen Einrichtung“, die ihren Sitz seit Anfang 2000 in Cuxhaven hat. Im Gästebuch seiner homepage (die nicht mehr existiert, Anm. d. Red.)
findet man unter anderem den Eintrag „Seyet gegrüßt! Welch fürtreffliches Pergament habt Ihr hier in das neuzeitlich Zauberkästeleyn gesetzt! Wir sprechen unser Lob dafür aus.“
Dem müssen wir uns anschließen, und deshalb ist der vorliegende Text nun doch noch eine Buchbesprechung geworden...
Klaus Henseler: „Die Kartoffel auf der Briefmarke“. Entdeckung eines alltäglichen Nahrungsmittels. Verlag A. Rauschenplat, Cuxhaven 2001, 78 S., div. Abb., broschiert, ca. 9 €
Klaus Henseler